Wie im letzten Beitrag angekündigt, möchte ich nun mit Wohnbauten der Nachkriegszeit fortsetzen, zuvor aber noch kurz auf zwei Objekte der 1930er Jahre eingehen, da diese aus (architektur-) historischer Sicht auf die nachfolgenden Projekte überleiten.
Der „Strindberg-Hof“ in der Rinnböckstraße 55-59, durch die Otto-Wagner-Schüler Emil Hoppe und Otto Schönthal 1930-33 ausgeführt, steht noch charakteristisch für die in Blockrandverbauung mit großzügig angelegtem Wohnhof (insgesamt 538 Wohnungen auf 25 Stiegen) errichteten Großwohnbauten. [1]
Luftaufnahme des Strindberg-Hofs, 2025.
Deutlich erkennbar ist hier die Blockrandverbauung mit den Stiegen und dem begrünten Innenhof.
Bildnachweis: https://www.google.at/maps/place/Strindberggasse,+1110+Wien, 2025.
Aufgrund der Tatsache, dass im Zuge der zunehmenden Industrialisierung immer mehr Wohnraum für die Arbeiter*innen und ihre Familien benötigt wurde und eine Wohnanlage dieser Größenordnung relativ viel unverbaute Grundfläche erforderte, bewegte sich die künftige Entwicklung Schritt für Schritt von dieser Bauweise weg. Damit stand nicht nur mehr Platz für Wohnungen zur Verfügung, auch das soziale Gefüge wurde durch das Aufbrechen dieser geschlossenen Bauform verändert.
Ähnlich verhält es sich mit dem „Rosa Jochmann-Hof“ in der Simmeringer Hauptstraße 142-150, bzw. Pleischlgasse 9-17, 1931-32 durch Oskar Wlach und Josef Frank [2], den Begründern der Werkbundsiedlung, errichtet. In Bezug auf die Erker und Balkone sowie den Innenhofbereich optisch noch auf den „Strindberg-Hof“ verweisend, zeigt sich die Anlage, durch die Erker rhythmisch akzentuiert, entlang von Hauptstraße, Fickeysstraße und Pleischlgasse sowie Strachegasse angeordnet, wobei sie jedoch bereits bestehende Bauten miteinbezieht. Damit bildet der Bau einen wichtigen Schritt in der Entwicklung zur städtebaulich dominierenden Form der „offenen Großwohnbauten“. Ab 1939 wurde zusätzliche Aufstockungen vorgenommen, sodass in Summe 277 Wohnungen in der Anlage untergebracht werden konnten. [3]
Oskar Wlach/ Josef Frank, Rosa-Jochmann-Hof, 1931-32, (vorne), mit Bebauung im Umkreis, 1930er Jahre.
Deutlich erkennbar sind hier die noch offene Front entlang der heutigen Strachegasse sowie die Einbeziehung der bereits bestehenden Bauten Ecke Hauptstraße/Fickeysstraße (links vorne).
Die Hasenleitengasse ist am oberen Bildrand gut zu erkennen.
Bildnachweis: Johannes Hradecky, 175 Jahre Eisenbahn in Simmering. Eine nostalgische Bilderreise, Erfurt 2021, S. 30. (Ausschnitt)
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges waren rund 28% aller Gebäude Wiens durch die Kriegshandlungen zerstört oder beschädigt, dadurch kam es zu einem massiven Anstieg der obdachlosen Bevölkerung. [4] Ab 1947 konnte schließlich mit der Errichtung von Neubauten begonnen werden, dazu wurde eine neue Technik entwickelt, mittels der aus Bauschutt Ziegel hergestellt werden konnten (Vibro-Technik). [5] Als Beispiel dafür sei hier die Per-Albin-Hansson Siedlung erwähnt, deren erster Bauteil Ende der 1940er Jahre in dieser Technik erbaut wurde.
Als einen der frühesten Wohnbauten aus dieser Zeit möchte ich nun gerne den „Hedorfer-Hof“, Ecke Enkplatz 1 und Simmeringer Hauptstraße 76 [6], vorstellen. Benannt wurde die Anlage nach Florian Hedorfer (1865-1948), einem sozialdemokratischen Mitglied des Gemeinderats von 1912-18, sowie Obmann des Simmeringer Schutzbundes (über dessen Spuren ich bereits im Beitrag „Mai 2025 – Rund um den Herderpark, Teil 1“ [7] berichtet habe). [8] Darüber hinaus gibt es im 11. Bezirk die „Florian-Hedorfer-Straße“, die ebenfalls nach dem Kommunalpolitiker benannt ist.
Florian-Hedorfer-Hof, heutige Ansicht.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Erbaut wurde die 32 Wohnungen sowie Geschäftslokale und eine Apotheke umfassende Anlage 1945-50 auf dem Areal des ehemaligen Gemeinde- bzw. Bürgermeisteramtes von Simmering durch Robert Kotas, einem Schüler Clemens Holzmeisters an der Akademie der bildenden Künste in Wien. [9] Kotas zeichnete sich in den 1950er und 1960er Jahren vor allem durch seine Kino-Bauten aus, so hat er das 1960 errichtete und heute noch erhaltene Gartenbaukino zu verantworten. Auch das einst im „Hedorfer-Hof“ befindliche „Volkskino Simmering“ (1950-69) stammte aus seinen Entwürfen, ein Schriftzug über der Durchfahrt an der Simmeringer Hauptstraße erinnert heute noch an diesen Standort.[10]
Eingang des Simmeringer Volkskinos, Enkplatz 1, um 1950.
Bildnachweis: Florian Pauer/Thomas Jelinek, Die Wiener Kinos. Dokumentation 1896-2022, Band 3: Kinos der Bezirke X-XV, S. 204/205.
Verbliebene Aufschrift des Volkskinos,
Simmeringer Hauptstraße 76, 2025.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Florian-Hedorfer-Hof, heutige Ansicht.
Im ehemaligen „Volkskino Simmering“ befindet sich heute ein Supermarkt.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Relativ schmucklos präsentieren sich die straßenseitigen Fronten mit glatter Putzfassade, einzig der Erker an der Hausecke, der von geschwungenen Konsolen gestützt wird, sowie die unterschiedlich großen Fenster, deren zum Teil schräg gesetzte Rahmungen besonders bemerkenswert sind, heben sich ein wenig davon ab. Zusammen mit den nachträglich eingebauten Lift-Türmen bilden sie sozusagen die einzig optischen ‚Highlights‘ dieses Baus. [11] Die Tatsache, dass sich die Fenster des Erkers nicht auf gleicher Höhe mit den restlichen Fenstern am Enkplatz befinden, erklärt sich aus dem ansteigenden Geländeniveau, wodurch die Wohnungen zur Hauptstraße, zu denen auch die Erkerzimmer gehören, etwas niedriger liegen als jene am Enkplatz.
Florian-Hedorfer-Hof. Der sanfte Anstieg entlang des Enkplatzes ist kaum merkbar,
aber im Eckbereich der Hauptstraße umso sichtbarer.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
An diesem Wohnbau zeigt sich deutlich, worum es in den ersten Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges vor allem ging: möglichst rasch und in billiger Bauweise leistbaren Wohnraum auf bereits vorhandenen, leerstehenden Grundstücken für die zum Teil ausgebombte bzw. obdachlose Bevölkerung zu schaffen. [12] Kleine ‚Grätzel-Kinos‘ wie das Volkskino, die in dieser Zeit in einigen Bezirken entstanden, stellten dabei eine willkommene Abwechslung zum sonst eher tristen Alltag der Menschen dar.
Eine weitere Maßnahme zur Beseitigung der Wohnungsnot in Wien folgte mit der Errichtung der sog. ‚Duplex-Wohnungen‘, kleinere Wohnungen, die später zusammengelegt werden konnten, vorerst aber einmal schnell zu errichtenden Wohnraum ermöglichten. [13] Unter Bürgermeister Franz Jonas forderte der „soziale Städtebau“ ab den frühen 1950er Jahren schließlich eine Trennung von Wohn- und Gewerbegebieten, alle Wohnungen bekamen eigene Badezimmer und die Mindestgröße des Wohnraums wurde von 42 m² auf 55 m² angehoben.
Wie bereits zu Beginn des Beitrages angedeutet, komme ich nun zu einem in direkter Nachbarschaft zum „Strindberg-Hof“ liegenden Wohnbau, dem „Josef-Haas-Hof“, der mit einem gänzlich neuen Konzept die weitere Entwicklung der kommunalen Wohnbauanlagen einleitet.
Josef-Haas-Hof, von der Zippererstraße gesehen.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
1951-53 von Hans Muttoné, Ferdinand Riedl und Walter Köhler, alle Absolventen der Technischen Hochschule in Wien, erbaut, umfasst die Wohnhausanlage auf 20 Stiegen 289 Wohnungen. [14] Benannt ist dieser Wohnbau nach Josef Haas (1893-1975) [15], der von 1952-1964 Bezirksvorsteher von Simmering war. Er beteiligte sich maßgeblich an der Beseitigung der letzten Kriegsschäden sowie am Ausbau der Infrastruktur. Auch wurde die „Josef-Haas-Gasse“ im 11. Bezirk nach ihm benannt.
Luftaufnahme des Josef-Haas-Hofs, 2025.
Deutlich erkennbar ist hier die Zeilenbauweise mit den begrünten Querverbindungen von der Zippererstraße zum nördlich gelegenen Hybler-Park.
Bildnachweis: https://www.google.com/maps/place/Zippererstra%C3%9Fe+18,+1110+Wien, 2025.
Luftaufnahme des Strindberg-Hofs, 2025.
Deutlich erkennbar ist hier die Blockrandverbauung mit den Stiegen und dem begrünten Innenhof.
Bildnachweis: https://www.google.at/maps/place/Strindberggasse,+1110+Wien, 2025.
Das Besondere an dieser Anlage besteht in der Tatsache, dass die 5-bzw. 6-stöckige Wohnhausanlage in Zeilenbauweise angelegt ist, wobei die einzelnen Blöcke architektonisch unterschiedlich gestaltet sind. [16] Damit wurde die bislang vorherrschende Blockrandverbauung mit den abgeschlossenen Innenhöfen aufgebrochen. Die dabei entstandenen Grünflächen zwischen den einzelnen Trakten lassen nun als offene Durchgänge einerseits eine Verbindung zur Zippererstraße zu, andererseits gelangt man auf diese Weise auch in den unmittelbar angrenzenden Hybler-Park.
Josef-Haas-Hof, mit straßenseitiger Öffnung der Wohnblöcke, 2025.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Josef-Haas-Hof, Blick Richtung Hybler-Park mit Stiegenhaus, Liftkonstruktion und beschatteten Balkonen.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Allen Baukörpern ist gemeinsam, dass die Balkone nach Südwesten orientiert sind, während die Hauseingänge im Nordosten liegen und leicht vor die Fassadenflucht gezogen sind. [17] Im Zuge einer Sanierung wurden an die Stiegenhäuser Außenlifte angebracht sowie die schmucklosen glatten Fassadenflächen mit orange-weißer Farbe überzogen.
Hertha Bucher, „Freizeitgestaltung“, 1953, Wandmosaik.
Foto: Privatarchiv Pelikan.
Flora, Edwin Grienauer, 1954, Sandstein-Skulptur.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Auch finden sich hier unterschiedliche Kunstwerke im öffentlichen Raum, wie etwa das von Hertha Bucher geschaffene Mosaik "Freizeitgestaltung", Ecke Rinnböckstraße/Zippererstraße über das ich bereits im Beitrag „März 2023 – öffentliche (Frauen)Kunst im Gemeindebau“ geschrieben habe. [18] Darüber hinaus ist mit „Flora“, einer Sandsteinskulptur des Bildhauers Edwin Grienauer aus dem Jahr 1954, [19] ein weiteres Objekt in diesem Bau zu bewundern. Numismatiker*innen wird der Künstler ein Begriff sein, entwarf er unter anderem die Wertseite der Ein-Schilling Münze (von 1959-2002 im Umlauf), etliche Schilling-Gedenkmünzen sowie die heute noch produzierte Wirtschaftskammer-Medaille. [20]
Beitragersteller: Thomas Pelikan
[1] Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band III/1 Wien 1.-12. Bezirk, Wien 2010, S. 299., sowie https://www.wienerwohnen.at/hof/137/Strindberghof.html.
[2] https://on.orf.at/video/14283834/josef-frank-stil-blueten.
[3] Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band III/1 Wien 1.-12. Bezirk, Wien 2010, S. 300., sowie https://www.wienerwohnen.at/hof/823/Rosa-Jochmann-Hof.html.
[4] https://www.wienerwohnen.at/hof/138/Hedorfer-Hof.html.
[5] https://www.wien.gv.at/forschung/laboratorien/pdf/mauerwerk.pdf. Vibrosteine kamen vor allem von 1945 bis 1965 zum Einsatz. Dabei handelte es sich um eine Wiederverwendung von Ziegel-Bauschutt, der unmittelbar nach dem Krieg direkt vor Ort des neu zu errichtenden Gebäudes vorhanden war. Bei der Herstellung wurden die Ziegel zerkleinert und/ oder mit Beton durch Vibration verdichtet. Danach wurde der neu in Form gedrückte Stein mit seinen markanten Hohlräumen getrocknet, bevor er verbaut werden konnte. Im Zeitraum zwischen 1945 und 1965 wurden so über 80.000 Gemeindewohnungen errichtet.
[6] Die Apotheke in dieser Liegenschaft wurde bereits im Podcast „Simmering einst & jetzt. Historisches aus dem Elften“ in Folge 01 vorgestellt.
[8] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Florian_Hedorfer.
[9] https://www.wienerwohnen.at/hof/138/Hedorfer-Hof.html, bzw. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Robert_Kotas.
[10] In der Nachnutzung ab Ende der 1960er Jahre befanden sich an dieser Stelle eine Konsum- sowie eine Billa-Filiale, seit geraumer Zeit ist hier ein Etsan-Supermarkt eingemietet. (Stand 2025). Das „Simmeringer Volks-Kino (SVK)“ bestand von 1950-69 und fasste 563 Personen. Nachzulesen bei: Florian Pauer/ Thomas Jelinek, Die Wiener Kinos. Dokumentation 1896-2022, Band 3: Kinos der Bezirke X-XV, S. 204-209.
[11] https://www.wienerwohnen.at/hof/138/Hedorfer-Hof.html.
[12] Da das alte Gebäude mit dem ehem. Bürgermeisteramt 1944 durch Bombentreffer zerstört worden war, konnte auf diesem Platz der Hedorfer-Hof errichtet werden.
[13] https://www.wienerwohnen.at/hof/826/Delsenbachgasse-7-11.html.
[14] https://www.wienerwohnen.at/hof/142/Josef-Haas-Hof.html.
[15] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Josef_Haas.
[16] https://www.wienerwohnen.at/hof/142/Josef-Haas-Hof.html.
[17] https://www.wienerwohnen.at/hof/142/Josef-Haas-Hof.html.
[19] https://www.wienerwohnen.at/hof/142/Josef-Haas-Hof.html.
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