Den Abschluss der Herderpark-Serie bilden zwei Wohnhausanlagen aus den Jahren 1925/26, deren Konzepte unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen sehen wir uns beim Bau des „Josef Scheu-Hofs“ mit einer annähernd quadratischen Grundstücksfläche konfrontiert, wobei alle vier Straßenseiten von markanten Eckzonen und rückspringenden Mitteltrakten definiert werden. [1] Dem gegenüber steht mit dem „Laurenz Widholz-Hof“ ein Wohnbau auf dreieckigem Grundstück, bei welchem, abseits der konkaven Straßenführung, auf ein bereits bestehendes Eckgebäude Rücksicht genommen werden musste.
Widmungsinschrift „Josef Scheu-Hof“.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Der „Josef Scheu-Hof“ ist benannt nach dem Komponisten und Chorleiter Josef Scheu (1841-1904), der sich mit seinem „Lied der Arbeit“, sowohl als Begründer des Arbeiter-Sängerbundes Wien, als auch durch seine Tätigkeit innerhalb der Interessensvertretung von Musikern einen Namen gemacht hat. [2] Errichtet wurde die Anlage von Franz Wiesmann, einem Absolventen der TU Wien, der ab 1914 für das Wiener Stadtbauamt tätig war, wo er vor allem Wohnhausanlagen der Zwischenkriegszeit realisierte. [3]
Josef Scheu-Hof, Fassadenansicht in der Ehamgasse, um 1926.
Deutlich zu erkennen ist hier der Fassadenrücksprung mit dem (noch unbegrünten) Durchgang zum Hof.
Bildnachweis: Wien Museum, Inv. Nr: 57962/153, Silbergelatinepapier, 39,1×59,8 cm, https://sammlung.wienmuseum.at/suche/?techniques=668448.
Die Anlage umfasst 12 Stiegen mit 184 Wohnungen. Neben den Wohneinheiten gab es auch zwei Werkstätten, eine eigene Apotheke [4] sowie eine zentrale Waschküche für die Bewohner*innen. [5] 2005-2007 fand zuletzt eine umfangreiche Renovierung des Wohnbaus statt. Die auffälligen Fassadenrücksprünge entlang der Ehamgasse, Herbortgasse, Drischützgasse und Zehetbauergasse ermöglichten in weiterer Folge begrünte Vorplätze, wodurch die geschlossene Blockverbauung heute aufgelockert erscheint. [6] Durch diese Erweiterung zum Straßenraum hin sowie ausgegrenzte Nutzzonen im Hof nimmt die Wohnanlage eine Sonderstellung im kommunalen Wohnbau in Wien ein, die durch eine nahezu uniformelle Gestaltung ohne individuelle Akzente des Standorts gegeben scheint. [7]
Josef Scheu-Hof, Eingangsbereich mit Farbkontrasten in der Ehamgasse, 2025.
Die ursprüngliche Einzäunung (siehe Bild oben) ist einer Hecke sowie Bäumen gewichen.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Bildvergleich: Innenhof mit Pergola und Brunnenanlage, um 1926 (links) und 2025 (rechts).
Bildnachweis: Wien Museum, Inv. Nr: 57962/152, Silbergelatinepapier, 38,8×60 cm, https://sammlung.wienmuseum.at/suche/?techniques=668448
sowie Privatarchiv Pelikan.
Weitere Begrünungsflächen finden sich darüber hinaus auch im Innenhof, etwa in Form einer Pergola mit Brunnen und einer Nixen-Skulptur von Anton Endstorfer. Leider ist die Anlage nicht mehr im Original erhalten, der Brunnen stand ursprünglich in einem Wasserbecken.
Fassadendetail mit Spitzerker.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
An der Fassade dominieren vor allem die glatten Wände mit scharf eingeschnittenen Fenstern, flachen Spitzerkern, wie wir sie bereits an den beiden Wohnbauten im Juni-Beitrag gesehen haben, sowie die nachträglich eingebauten Lifttürme aus Glas. [8]
Detail der Fassade Ehamgasse 4 sowie die kassettierte Tonnendecke im Durchgang.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Die Durchgänge an der Eham- und Herbortgasse sind mit Klinker gefasst und mit einem kassettierten Tonnengewölbe sowie mit floralen Ornamenten darüber markiert. [9] Aufgrund der starken hell- und dunkelbraunen Farben wurde das Wohnhaus im Volksmund als „Schokoladenhof“ bezeichnet. [10]
Den Abschluss der in den Monatsbeiträgen von Mai bis Juli vorgestellten Serie bildet nun der außergewöhnliche „Widholz-Hof“, benannt nach Laurenz Widholz (1861-1926), der 1907 das erste sozialdemokratische Direktmandat in Simmering zum Reichsrat holte. [11] Er setzte sich vor allem für das moderne Sozialversicherungssystem und insbesondere für die Arbeiterversicherung ein. Während der Februarkämpfe 1934 fanden Schutzbündler hier Zuflucht, von den einstigen Schäden sieht man heute jedoch nichts mehr. [12] Zudem gab es ursprünglich neben einem eigenen Kindergarten auch eine Bücherei sowie sechs Werkstätten und Ateliers in der Anlage.
Widholz-Hof, Hofansicht mit Beschriftung, 2025.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Widholz-Hof, Gesamtansicht von der Geiselbergstraße, um 1930 und 2025
Ein beachtenswertes Detail am Rande stellt die alte Telefonzelle im linken Bild im Vordergrund dar.
Bildnachweis: Helfried Seemann/ Christian Lunzer, Simmering Album. 1880-1930, Wien 2003, Abb. 44, bzw. Privatarchiv Pelikan.
Die Bauaufgabe wurde von Engelbert Mang übernommen, einem Architekten, der hier von seinem ersten kommunalem Wohnbauprojekt, dem streng symmetrisch ausgerichteten „Viktor-Adler-Hof“ (1923) im 10. Wiener Gemeindebezirk, deutlich Abstand nahm. [13] Wie eingangs erwähnt, war die dreieckige Grundstückssituation [14] eine durchaus herausfordernde, wobei Mang dennoch eine harmonische Gliederung unregelmäßiger Trakte als Lösung erzielen konnte. Der viergeschoßige Wohnbau umfasst insgesamt 166 Wohneinheiten. [15] Nicht zuletzt ermöglichte er mit einem in die Anlage integrierten Vorhof an der Geiselbergstraße eine Anbindung an den Simmeringer Markt, auch wurde die konkave Greifgasse mit einem turmartigen Mitteltrakt als Orientierungspunkt im Stadtbild akzentuiert.
Widholz-Hof, Gesamtansicht von der Greifgasse, um 1930 und 2025.
Bildnachweis: Helfried Seemann/ Christian Lunzer, Simmering Album. 1880-1930, Wien 2003, Abb. 45, bzw. Privatarchiv Pelikan.
Darüber hinaus sind die Stiegenhäuser, geschoßübergreifend und mit Fensterbändern vertieft in die Fassade eingesetzt, wodurch eine zusätzliche Dynamik entsteht.
Fassadendetails mit Eckbalkonen, Fenstergruppen und durchgehenden, vertikalen Stiegenhausverglasungen.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Als besondere Details der Gestaltung sind auch hier die bereits bekannten „typischen“ Gemeindebau-Stilmittel erkennbar, so werden über Eck gezogene Balkone, ausdrucksstarke Gesimse und große zwei- und dreiteilige Fenster, in Gruppen zusammengefasst, erkennbar. [16]
Alfred Hoffmann, Pelikanbrunnen, 1925.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Nicht nur als ungewöhnliches, weil doch eher exotisches Detail, sondern auch als beliebtes Fotomotiv erfreut sich der „Pelikanbrunnen“ von Alfred Hoffmann mit drei Pelikanskulpturen großer Bekanntheit über die Bezirksgrenzen hinaus. Vor allem die Gegenüberstellung unterschiedlicher Materialien – die aus Metall gefertigten Pelikane und der steinerne Brunnen – verleihen dem Ort einen durchaus künstlerischen Charakter.
An dieser Stelle endet nun unser Rundblick auf ein einzigartiges Stadtplanungskonzept, das in dieser Form in Wien sonst nirgends zu finden ist. - Um jedoch einen Querschnitt möglichst vieler unterschiedlicher Wohnhausanlagen und ihrer Charakteristika abzubilden, werden wir uns ab August und damit in der zweiten Jahreshälfte mit Bauten nach dem Kriegsende 1945 beschäftigen. Dabei soll der Fokus nicht nur auf die geänderten Bedürfnisse der Bewohner*innen gelegt werden, sondern auch die technischen Fortschritte und Anforderungen an ‚moderne‘ Wohnbauten gezeigt werden, die das Erscheinungsbild des Bezirks bis heute prägen.
Beitragersteller: Thomas Pelikan
[1] Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band III/1 Wien, 1.-12. Bezirk, Wien 2010, S. 298.
[2] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Josef_Scheu.
[3] https://www.wienerwohnen.at/hof/132/132.html.
[4] Die Apotheke gibt es in diesem Bau heute noch.
[5] https://dasrotewien.at/seite/josef-scheu-hof.
[6] https://www.wienerwohnen.at/hof/132/132.html.
[7] Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band III/1 Wien, 1.-12. Bezirk, Wien 2010, S. 298, 299.
[8] https://www.wienerwohnen.at/hof/132/132.html.
[9] https://www.wienerwohnen.at/hof/132/132.html.
[10] https://www.wienerwohnen.at/hof/132/132.html.
[11] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Laurenz_Widholz.
[12] https://dasrotewien.at/seite/widholzhof.
[13] https://www.architektenlexikon.at/de/379.htm.
[14] Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band III/1 Wien, 1.-12. Bezirk, Wien 2010, S. 299.
[15] https://www.wienerwohnen.at/hof/133/Widholz-Hof.html.
[16] https://www.architektenlexikon.at/de/379.htm., sowie https://www.wienerwohnen.at/hof/133/Widholz-Hof.html.
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