September 2025 - Wohnhausanlagen der 1960er- Jahre

Da wir im letzten Monat die Veränderung vom Wohnbau mit Hofcharakter zur Zeilenbauweise nachverfolgt haben, möchte ich in diesem Beitrag eine Umkehr dieser Entwicklung vorstellen. Das spannende daran ist, dass sich diese scheinbare Rückkehr zum „traditionellen“ Hofcharakter Ende der 1960er Jahre bis in die frühen 1970er Jahre vollzogen hat, also innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums.

 

Um diese Gegebenheiten besser nachvollziehen zu können, sehen wir uns dazu nun die erste Großwohnhausanlage an, den „Salvador-Allende-Hof“, errichtet in den Jahren 1963-1968. Dieser befindet sich zwischen der Simmeringer Hauptstraße, der Weißenböckstraße und der Straße Am Kanal. Benannt wurde der Hof nach Salvador Allende (1908-1973), einem chilenischen Arzt und späteren Präsidenten, [1] der vor allem durch soziale Reformen im Gesundheits- und Schulwesen bekannt wurde. [2]

 

Dass es zum Bau dieser großen Wohnhausanlage am damaligen Stadtrand kam, war dem städtebaulichen Konzept und dem Generalverkehrsplan von Roland Rainer geschuldet. Während des Zweiten Weltkriegs war vorgesehen, dass in diesem Gebiet Häuser für Wehrmachtssoldaten gebaut werden sollten. Dies kam jedoch nie zur Umsetzung, sodass der verbleibende freie Platz Jahre später zum Zweck der Errichtung einer städtischen Wohnanlage genutzt werden konnte.

 

„Salvador-Allende-Hof“, nordöstlich begrenzt durch die Simmeringer Hauptstraße, südwestlich durch die Straße Am Kanal und von Süden nach Nordost durch die Weißenböckstraße. Rechts unten im Bildausschnitt die bereits vorgestellte Weißenböcksiedlung mit den Selbstversorger-Parzellen entlang des Wilhelm-Kreß-Platzes.

Bildnachweis: Google 2025.

 

Da in den 1960er Jahren bereits verstärkt mit Fertigteilen aus Beton gebaut wurde, ermöglichte dies zwar eine rasche und kostengünstige, im Gegenzug aber auch optisch sehr monoton gestaltete Bauweise.

 

An der Wohnanlage wird der Übergang von der Gartenstadt zum städtischen Wohnhaus deutlich, indem die großen Wohnblöcke locker angeordnet und von großzügigen Grünflächen umgeben angelegt sind. Die 1154 Wohnungen sind auf insgesamt 86 Stiegen in 23 freistehenden Häusern untergebracht. [3] Diese Häuser, vier bis acht Geschoße hoch, sind allesamt in Zeilenbauweise errichtet, wie wir es schon im Beitrag von August am Josef-Haas-Hof sehen konnten. Dabei liegen hier jeweils drei Blöcke parallel nebeneinander und bilden quer zur Weißenböckstraße ausgerichtete Gruppen, während die restlichen fünf vereinzelt stehenden Häuser parallel zur Weißenböckstraße ausgerichtet sind. Zwischen den einzelnen Häuserzeilen befinden sich Verbindungswege und die bereits erwähnten Grünflächen, die nicht zuletzt auch einen gewissen Erholungswert darstellen. Besonders interessant: Obwohl von 14 verschiedenen Architekten geplant und errichtet, zeigen sich alle Häuser einheitlich in ihrer Gestaltung und Wohnungsanordnung, was für ein Projekt dieser Größenordnung durchaus erstaunlich anmutet.

 

Salvador-Allende-Hof vor der Sanierung.

Deutlich erkennbar ist hier die monotone Gestaltung der Wohnblöcke.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Die Gliederung der einzelnen Häuser ist recht schmucklos und flächig, einzig die unterschiedlich großen Fenster verleihen den Stiegen ihre charakteristische Struktur. Weit ausladende Balkone bzw. Loggien zum Grünbereich hin finden sich auf der gegenüberliegenden Seite der Stiegenhäuser. Diese Stiegenhäuser wurden zuletzt durch eine Sanierung mit angebauten Lifttürmen an der Fassadenfront optisch hervorgehoben. Im Zuge dieser in mehreren Etappen erfolgten Sanierung konnten zudem 177 neue Dachwohnungen errichtet werden. [4] Die dadurch aufgelockerte Fassadengestaltung durchbricht auf diese Weise ein wenig die sonst vorherrschende Monotonie.

 

Salvador-Allende-Hof nach der Sanierung.

Die vorgebauten Liftanlagen lockern nun die sonst recht eintönig gestalteten Fassadenflächen auf.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Leider muss man aber auch den Verlust der künstlerischen Elemente an der Fassade bedauern, die durch die Lift-Anbauten abhandenkamen. Mehrere Künstler*innen haben im Zuge der Errichtung von 1963 bis 1968 die Stiegenhausachsen mit abstrakten dreifärbigen Sgraffitofeldern (blau, rot, gelb) geschmückt und damit die einzelnen Stiegenhäuser optisch differenziert. [5] Erst in der Gegenüberstellung mit dem ursprünglichen Erscheinungsbild ist dies nachvollziehbar.

 

Salvador-Allende-Hof vor der Sanierung.

Hier sind die ursprünglichen Sgraffiti im Bereich der Stiegenhäuser noch deutlich erkennbar.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

Salvador-Allende-Hof nach der Sanierung.

Durch die Liftanbauten sind die Sgraffiti leider endgültig verschwunden, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Zur bereits erwähnten Gegenüberstellung der unterschiedlichen Bebauungsformen möchte ich als nächstes Projekt den „Karl-Maisel-Hof“ aus den Jahren 1969-1971 [6] vorstellen. Benannt wurde der Hof nach Karl Maisel (1890-1982), einem politischen KZ-Überlebenden, späteren ÖGB-Gründungsmitglied sowie Nationalratsabgeordneten und Sozialminister. [7]

 

Diese Anlage erstreckt sich über ein ähnlich großes Gebiet wie der „Salvador-Allende-Hof“, diesmal von der Adresse Unter der Kirche, entlang der Lindenbauergasse bis zur Florian-Hedorfer-Straße. Zusammen mit dem weiter östlich befindlichen „Karl-Swoboda-Hof“ bildet sie die Plattenbausiedlung „Mitterweg“ auf vormalig landwirtschaftlich genutzter Grundfläche. [8] Da die Zeilenbebauung in kürzester Zeit mit Kritik bedacht wurde, erfolgte durch die MA19 Wiener Stadtbauamt ein neues Konzept mit der Idee, die Wohnanlagen wieder in der traditionellen Hofbauweise zu errichten. Damit wurde die zweite Phase des Wiener Plattenbaus eingeleitet, indem verschieden hohe Baukörper nun neu miteinander kombiniert werden konnten.

 

Karl-Maisel-Hof, auf dem Areal zwischen Lindenbauergasse,

Florian Hedorfer-Straße, Bleriotgasse und Unter der Kirche gelegen.

Bildnachweis: Google Maps 2025.

Karl-Maisel-Hof, Ecke Unter der Kirche und Bleriotgasse.

Verschieden hohe Baukörper sind um die inneren Grünflächen angelegt.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Die Anlage umfasst 1069 Wohnungen auf 58 Stiegen, die wiederum auf 3 Bauteile aufgeteilt sind, wie in der Luftaufnahme gut zu erkennen ist. [9] Der im Süden der Anlage befindliche breite Grünstreifen, der Seeschlachtpark, sowie die begrünten Innenhöfe dienen dabei als unmittelbare Erholungsgebiete.

 

Karl-Maisel-Hof, Durchgang zwischen den Bauteilen.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

Karl-Maisel-Hof, Loggien- und Balkonbereiche.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Verbindend wirken hier die Durchgänge zwischen den vier- bis neunstöckigen Baukörpern, die mit Loggien und Balkonen vertikal gegliedert sind. Dies ermöglicht den Bewohner*innen die öffentliche Teilhabe einerseits nach außen (straßenseitig), andererseits nach innen (hofseitig).

 

Karl-Maisel-Hof, Liftanlagen mit auffälliger Farbigkeit.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Eine weitere Betonung der Fassade entsteht durch die vorspringenden Lifttürme, die die Wohnblöcke überragen und mit ihrer Farbigkeit für einen weiteren optischen Akzent abseits der einzelnen Fassadengestaltungen sorgen.

 

Karl-Maisel-Hof, Kinderspielplatz.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Da die Innenhöfe sehr großzügig und weitläufig gestaltet sind, finden sich für die jüngeren Bewohner*innen ein Kinderspielplatz sowie für Interessierte mehrere Kunstwerke in bzw. in der Nähe der Wohnhausanlage [10], wie z. B. die vom Bildhauer Hermann Walenta gestaltete Natursteinplastik "Abstrakte Komposition", die vor Ort besichtigt werden können. Zu erwähnen wären auch noch die heute zur Anlage gehörenden Parkplätze, für die bereits, die künftige Entwicklung vorausahnend, zur Zeit der Errichtung entsprechende Bereiche angelegt wurden.

 

Beitragersteller: Thomas Pelikan


[1] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Salvador_Allende.

[2] https://www.wienerwohnen.at/hof/12/Salvador-Allende-Hof.html.

[3] https://www.wienerwohnen.at/hof/12/Salvador-Allende-Hof.html. Die beteiligten Architekten sind Anny Beranek, Richard Horner, Eduard Berger, Fritz Gerhard Mayr, Franz Tontur, Franz Ullmann, Otto Frank, Rudolf Angelides, Wolfram Schindler, Hans Paar, Erwin Christoph, Alois Schrimpf, Matthäus Jiszda II., und Leopoldine Schwarzinger.

[4] https://wohnberatung-wien.at/news/detail/vergabestart-fuer-44-neue-dachgeschoss-gemeindewohnungen-im-salvador-allende-hof, sowie https://www.wienerwohnen.at/Neues-aus-dem-Gemeindebau2/2024_salvador_allende_hof.

[5] https://www.wienerwohnen.at/hof/12/Salvador-Allende-Hof.html.

[6] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Karl-Maisel-Hof, bzw.  https://www.wienerwohnen.at/hof/15/Karl-Maisel-Hof.html. Interessant ist, dass Wiener Wohnen von einer Bauzeit von 1969 bis 1971 berichtet, während Wien Geschichte Wiki 1967 bis 1969 angibt.

[7] https://www.parlament.gv.at/person/1032, sowie https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Karl_Maisel.

[8] https://www.wienerwohnen.at/hof/15/Karl-Maisel-Hof.html.

[9] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Karl-Maisel-Hof

[10] https://www.wienerwohnen.at/hof/15/Karl-Maisel-Hof.html%7C, sowie Peter Autengruber/ Ursula Schwarz, Karl-Maisel-Hof, in: Lexikon der Wiener Gemeindebauten. Namen, Denkmäler, Sehenswürdigkeiten, Wien 2023, S. 163-164. Genannt wird eine Natursteinplastik „Abstrakte Komposition“ von Hermann Walenta Ecke Lindenbauergasse/Unter den Linden, sowie „Sphärisch-kreatürlich. Figur 67“ von Oskar Höfinger am östlichen Ende der Wohnhausanlage. Weiters gibt es im westlichen Innenhof in der Nähe des Kinderspielplatzes zwei Fische aus Beton von unbekannter Autorschaft.

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