Oktober 2025 - Wohnhausanlagen der 1970er- Jahre

Konnten wir bereits im letzten Monatsbeitrag die Tendenz zur wiederentdeckten Hofanlage in den Wohnbauten ausmachen, so setzt sich diese auch in den 1970er Jahren fort. Allerdings verlagert sich nun der Schauplatz dieser Anlagen. Bis in die 1960er Jahre waren vor allem die Bereiche zwischen der Bezirksgrenze zum 3. Wiener Gemeindebezirk und der Florian-Hedorfer-Straße durch Neubauten umgestaltet worden. Ab den 1970er Jahren findet nun eine Erweiterung Richtung Kaiserebersdorf statt. In dieser Zeit erfolgte im gesamten Wiener Raum nicht nur eine erste Sanierungswelle des Altbestandes, es wurden auch insgesamt 16.500 neue Wohnungen errichtet. [1] Ziel war es, diese Wohnungen infrastrukturell durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel an diese anzuschließen, sie jedoch nicht unmittelbar an die Straßenachsen anzubauen.

 

Besonders der Grundgedanke des „Roten Wien“ der 1930er Jahre, der neben der unmittelbaren Grundversorgung seiner Bewohner*innen auch soziale Einrichtungen wie etwa Kindergärten berücksichtigte, sollte für eine verbesserte Sozialisierung bei gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre sorgen. Wie dies umgesetzt wurde, sehen wir an den folgenden Großprojekten, die bis heute architektonische Akzente im zum Teil ländlichen, von Gärtnereien geprägten Bezirksteil Kaiserebersdorf setzen.

 

Wohnhausanlage Muhrhoferweg, Gesamtansicht.

Bauabschnitt 1 (Muhrhoferweg 13-19, nördlich der Valiergasse), Bauabschnitt 2 (Muhrhoferweg 7-11, nördlich der Hoefftgasse)

und Bauabschnitt 3 (Muhrhoferweg 1-5, nördlich der Sängergasse).

Bildnachweis: Google Maps, 2025.

 

Die Großanlage „Muhrhoferweg“ wurde von 1971-73 errichtet [2] und nach dem Lagerleiter und Bezirksrat der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Simmering von 1919-34, Rudolf Muhrhofer, [3] benannt. Diese Anlage wurde in drei Abschnitten auf ehemals langwirtschaftlicher Nutzfläche errichtet und bietet insgesamt Platz für rund 3.000 Bewohner*innen. Betrachteten wir im letzten Monat mit dem „Karl-Maisel-Hof“ den westlichen Abschluss der Stadtentwicklungsachse „Kaiser-Ebersdorfer-Straße“, so befinden wir uns nun an deren östlichen Ende.

 

Muhrhoferweg 13-19, 1971-1972, Gesamtansicht.

Bildnachweis: Google Maps 2025.

 

Der erste Bauabschnitt „Muhrhoferweg 13-19“ besteht aus 15 Stiegenhäusern mit 419 Wohnungen, die im Grundriss zusammen die Form des Buchstaben ‚E‘ ergeben. [4] Sieben Architekten waren an der Errichtung dieser Bauten beteiligt,[5] wobei einzelne Häuser, in Gruppen angeordnet, versetzt aneinandergereiht wurden. Wie im Bild gut zu erkennen ist, verläuft entlang der Etrichstraße den Baukörpern vorgelagert ein zweistöckiger Parkplatz, der durch einen Grünstreifen mit Bäumen als Schallschutz räumliche Distanz zur stark frequentierten Straße herstellt.

Loggien- und Fensterfront entlang der Valiergasse, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Bei einem Spaziergang durch die Anlage fällt auf, dass trotz der scheinbar sich wiederholenden Bauweise und Symmetrie in den Loggien- und Fensterachsen eine besondere Form von Privatsphäre gegeben ist, die eine ungestörte Nutzung, ausschließlich nach Süden und Westen ausgerichtet, ermöglicht. Dies ergibt sich durch die Anordnung von Fassadenvor- und Rücksprüngen, die das äußere Erscheinungsbild bis heute prägen.

 

Murhoferweg 13-19, Kinderspielplatz mit niedrigeren Baukörpern Richtung Münnichplatz/ „Stefan-Achatz-Hof“, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Jene Gebäudetrakte, die Richtung Münnichplatz/ „Stefan-Achatz-Hof“ nach Osten hin orientiert sind, wurden niedriger gestaltet, um so besser an den alten Ortskern angepasst zu werden.

 

Muhrhoferweg 13-19, 1971-1972, adaptierte Rodelbahn mit Rutsche, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Für die jüngeren Bewohner*innen finden sich inmitten des südlichen Hofes dieser Anlage sogar eine eigens angelegte „Rodelbahn“ sowie ein Spielplatz, um eine ganzjährige Nutzung der Freiflächen zu ermöglichen. Darüber hinaus wurde auch auf die künstlerische Gestaltung der öffentlichen Räume nicht vergessen, so ziert eine fünf Meter hohe Steinplastik mit dem Titel „Aufragende Form“ von Hans Knesl einen dieser Bereiche entlang der „Valiergasse“. [6]

 

Hans Knesl, „Aufragende Form“.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

Muhrhoferweg 7-11, mit Jugendraum J.A.M. im Südosten, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Im zweiten Bauabschnitt entdecken wir eine ähnliche Gestaltung wie zuvor, auch hier sind alle Baukörper in Gruppen zusammengefasst und durch regelmäßige Vor- und Rücksprünge einheitlich gestaltet, Loggien und Balkone wurden ebenso nach Süden und Westen ausgerichtet, um eine optimale Belichtung zu ermöglichen. Die Wohnhausanlage besteht aus insgesamt 14 Stiegen mit 460 Wohnungen, die Erschließung des Innenhofes ergibt sich dabei erneut durch die Randverbauung. [7] Wie im ersten Bauabschnitt sind auch hier vier bis fünf Wohnungen pro Geschoß angeordnet.

 

Muhrhoferweg 7-11, Blick von der Hoefftgasse nach Norden, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Hier sind die Gebäudeteile mit sieben bis elf Stockwerken wieder etwas höher angesetzt als beim ersten Bauabschnitt. [8] Auch findet sich eine außen sichtbare Unterkellerung, die durch eine farbig gefasste und zum Teil mit Stützen gestaltete Sockelzone definiert wird.

 

Farbliche Akzente und Stützen definieren die Sockelzone.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Als ein weiteres beachtenswertes Detail muss auch der in einer der Stiegen angebrachte Treppenlift genannt werden, der offensichtlich den Zugang zu den Liften für ältere oder körperlich eingeschränkte Personen erleichtern soll.

 

Treppenlift für den erleichterten Zugang zu den Liften.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

Christine Novotny, „Pinguin auf Wasserball“, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Auch in diesem Bauteil finden sich zwei öffentliche Kunstwerke, im südlichen Innenhof der Brunnen „Pinguin auf Wasserball“ von Christine Novotny, an der Etrichstraße die Bronzeplastik „Widerstand“ von Martin Karl Sukopp aus dem Jahr 1972. [9]

 

Muhrhoferweg 1-5, Gesamtansicht.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Der dritte und späteste Bauabschnitt gestaltet sich etwas anders als die beiden bereits gezeigten. Wenngleich auch hier die grundsätzliche Anordnung der Baukörper mit 16 Stiegen und insgesamt 497 Wohnungen an den Rändern beibehalten wird, [10] so lösen sich die südlichen zwei Baugruppen deutlich vom Verbund mit den anderen ab. (siehe Luftaufnahme)

 

Muhrhoferweg 1-5, Zugang über die Ecke Etrichstraße/ Sängergasse, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Interessant gestaltet sich der „Eingangsbereich“ zur Wohnhausanlage über die Ecke Etrichstraße/ Sängergasse. Der Weg führt leicht bergab, hinter einer großzügigen Grünfläche im Vordergrund erhebt sich der elfstöckige Gebäudetrakt und offenbart einen dichteren Wechsel aus Fassadenvor- und -Rücksprüngen. Hier sind jeweils eine Loggia und ein Fenster als Einheit zusammengefasst. Durch die sich dabei ergebenden unterschiedlichen Tiefen steigert sich die Abfolge auf kleinerem Raum umso stärker.

 

Muhrhoferweg 1-5, Stiegenhaus, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Auch die Stiegenhäuser in den Innenhöfen sind optisch von der Fassade rückversetzt und sowohl farbig gestaltet als auch durch dreiteilige Fenster über die gesamte Breite gegliedert.

 

Muhrhoferweg 1-5, Fassade mit Loggien, in den begrünten Innenhof gerichtet, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Erwähnt sei an dieser Stelle noch ein im Bau befindlicher Trakt im nördlichen Bereich der Anlage, wo zur Zeit ein weiterer Wohnblock mit angeschlossenem Supermarkt zur Nahversorgung errichtet wird.

 

Muhrhoferweg 1-5, neuer Wohntrakt entlang der Sängergasse, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

Muhrhoferweg 1-5, Kinderspielplatz und Hundezone, 2025.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Auch hier befinden sich ein Kinderspielplatz sowie eine Hundezone gegenüber einem Verbindungsweg, im Bereich der Etrichstraße treffen wir zudem auf eine 2,5 Meter hohe Stahlplastik „Königin“ von Gerhardt Moswitzer. [11]

 

Da dieser Beitrag bereits recht umfangreich ausgefallen ist, möchte ich nur noch kurz auf einen zweiten Großbau hinweisen, der nicht allzu weit entfernt liegt. Manchen Leserinnen und Lesern ist vielleicht die Wohnhausanlage „Thürnlhofstraße“ ein Begriff, auch diese wurde Anfang der 1970er Jahre in vier großen Bauabschnitten mit über 6.800 Wohnungen auf ehemals landwirtschaftlicher Nutzfläche errichtet, [12] wie auch heute noch gut zu erkennen ist. Hier kamen bei allen Bauteilen insgesamt 13 verschiedene Architekt*innen [13] zum Einsatz, die jedoch, anders als am Muhrhoferweg, die Gestaltung weniger einheitlich ausrichteten.

 

Bauabschnitt der Siedlung „Thürnlhofstraße“ Ecke Pantucekgasse/ Roschègasse, 2025.

Im Vordergrund sind noch landwirtschaftlich genutzte Flächen erkennbar.

Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.

 

Damit endete die Stadterweiterung vorerst in diesem Bereich, die Erschließung und Bebauung des Leberberges rund um den Rosa-Jochmann-Ring erfolgte erst in den 1990er Jahren und wird in einem späteren Beitrag behandelt.

 

Beitragersteller: Thomas Pelikan


Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.