Im vorletzten Beitrag dieses Jahres möchte ich auf eine interessante Entwicklung in der Stadtplanung aufmerksam machen, in deren Folge sich die Errichtung von Großwohnbauten auf unverbauter Fläche, wie in den 1970er-Jahren zu sehen war, hin zu einer Nachverdichtung bereits erschlossener Gebiete verlagert hat.
Als markantes Beispiel stelle ich dazu nun den „Johann-Hatzl-Hof“ (Simmeringer Hauptstraße 34-40) vor, der sich auf dem Areal der ehemaligen Waggonfabrik (ehemals Simmering-Graz-Pauker, heute Siemens) befindet und eingebettet zwischen Simmeringer Hauptstraße und der Schnellbahntrasse S7 liegt.
Ehemalige Waggon-Fabrik (Simmering-Graz-Pauker-AG) zwischen Simmeringer Hauptstraße (unterer Bildrand) und Bahntrasse (oberer Bildrand) gelegen.
Links die Geystraße, Mitte der 1920er-Jahre.
Bildnachweis: Johannes Hradecky, 175 Jahre Eisenbahn in Simmering, S. 56.
Die Fabrik, in der Personenwagen und auch Lokomotiven gefertigt wurden, [1] war 1850 von Heinrich Daniel Schmid gegründet worden. Um 1900 waren bereits mehr als 40.000 Waggons aus dieser Produktion auf dem europäischen Schienennetz vertreten, die Fabrik expandierte in der Folge auf das Areal südlich der Eisenbahntrasse in die Leberstraße (mit dem damals noch parallel geführten Wiener Neustädter Kanal).
Bildvergleich aus einer ähnlichen Perspektive: die alte Waggonfabrik um 1900 und der Johann-Hatzl-Hof 2025.
Bildnachweise: Simmering Album, Abb. 4; Privatarchiv Pelikan.
Vielen Leserinnen und Lesern werden die „Simmeringer-Graz-Pauker-Werke“ ein Begriff sein, [2] die als „Simmeringer Maschinen- und Waggonfabrik AG“ 1934 von der „Grazer Waggon- und Maschinenfabrik-AG“ (vormals (Weitzer) übernommen und später in die Pauker-Werke in Wien Floridsdorf eingegliedert wurden. Unrühmlich ist die Zeit der Kriegsproduktion im Zweiten Weltkrieg zu sehen, jedoch gab es bis Sommer 1941 eine Simmeringer Widerstandsgruppe, die regelmäßig den Betrieb zum Erliegen brachte und illegale Publikationen unter den Angestellten verbreitete. Nach dem Krieg erfolgte 1946 die Verstaatlichung des Betriebes, der sich bis in die 1980er Jahre zu einem der erfolgreichsten Unternehmen der Republik entwickelte. Nach einer Umstrukturierung der „SGP Verkehrstechnik GmbH“ wurde ab 1996 die „Siemens SGP Verkehrstechnik GmbH“ allerdings nur noch am Standort Leberstraße fortgeführt. Heute ist das Areal unter dem Namen „Siemens Mobility“ bekannt.
Johann-Hatzl-Hof, 2025.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Der ursprüngliche Standort an der Simmeringer Hauptstraße wurde schließlich 1977 aufgelassen und der „Johann-Hatzl-Hof“ in den Jahren 1982-1985 an dieser Stelle errichtet. Benannt ist die Anlage nach Johann Hatzl (1942-2011), einem ehemaligen Waggonschlosserlehrling der Simmering-Graz-Pauker-Werke und späteren SPÖ- Bezirksobmann, Nationalratsabgeordneten und Wiener Stadtrat für Wohnen und Stadterneuerung. [3] In seine politische Verantwortung fielen unter anderem die Gründung des VOR (Verkehrsverbund Ost-Region), der Bau der U3 sowie die Erweiterung der U6. 2013 wurde ehrenhalber auch der Vorplatz beim 2. Tor des Zentralfriedhofs nach ihm benannt. [4]
Johann Hatzl-Hof, Blick von der Geystraße.
Markant erscheinen die grünen Stiegenhaus-Türme sowie die Dachverkleidungen und Fensterrahmungen.
Gut erkennbar sind auch die Baukörperstaffelungen infolge des Geländeunterschiedes, im Vordergrund befindet sich darüber hinaus ein Kindergarten.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Die in Zusammenarbeit von mehreren Architekt*innen [5] errichtete Wohnhausanlage umfasst 423 Wohnungen auf 16 Stiegen und umschließt auf dem ansteigenden Gelände zwischen Simmeringer Hauptstraße und der Straße Am Kanal hin fünf Innenhöfe. [6] Entlang der Hauptstraße reihen sich Geschäftslokale mit Obergeschoß aneinander, die dem Wohnbereich weit vorgelagert und somit räumlich abgegrenzt sind. [7] Aktuell finden wir hier etwa Nahversorger wie einen Papierfachhandel oder einen Obst- und Gemüsehändler, sowie eine Trafik und mehrere Arztpraxen, in Summe gibt es Platz für 44 Geschäftslokale.
Deutlich erkennbar: die vorgebauten niedrigeren Geschäfts- und Ordinationsräume gegenüber den zurückgesetzten höheren Wohntrakten.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Charakteristisch an den vorgebauten Baukörpern sind auch die braunen Fensterrahmungen mit der helleren Blechverkleidung im Dachbereich gegenüber den grünen Fensterrahmungen und der grünen Dachverkleidung im Wohnbereich, was eine zusätzliche optische Trennung zwischen öffentlichem und privatem Bereich schafft.
Blick vom Innenhof Richtung Hauptstraße, mit Balkonen und unteren Geschäftsräumen (rechts).
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
An den drei Durchgängen zu den Innenhöfen knicken die niedrigen Baukörper trichterförmig ein, [8] wodurch die Abgeschlossenheit ein wenig aufgelockert werden soll. Diese verschatteten Durchgänge bilden trotz ihrer Größe eine optische Grenze zwischen dem Innen- und Außenbereich.
Durch die Verkleidung mit hellen Alu-Platten und den grünen Stiegenhaustürmen wirkt die Gesamterscheinung recht einheitlich,
trotz Balkonen und Loggien stellt sich kaum merklich eine vertikale Akzentuierung der Fassade ein.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Karl Anton Wolf, „ohne Titel“.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Ein in einem der Innenhöfe befindliches Kunstwerk „ohne Titel“ wurde von Karl Anton Wolf geschaffen und verweist mit Dreh- und Gelenkelementen auf den ehemaligen Standort der Waggonfabrik. [9]
Haben wir in den letzten Beiträgen großteils Wohnanlagen gesehen, die in Kooperation mehrerer Architekten errichtet wurden, so werden wir im letzten Beitrag dieses Jahres eine verstärkte Hinwendung zu einzelnen Architekten mit eigenständigen Konzepten erkennen können. Diese Tendenz setzte sich ab den 1990er-Jahren bis in die Gegenwart fort, auch wenn zwischenzeitlich das „Gemeindebau-Wohnprogramm“ zum Erliegen kam. Vor allem in den letzten Jahren zeigte sich jedoch vermehrt die Notwendigkeit, leistbare Alternativen zu schaffen, sodass das soziale Wohnbau-Programm neu definiert werden musste.
Beitragersteller: Thomas Pelikan
[1] https://www.wienerwohnen.at/hof/855/Johann-Hatzl-Hof.html.
[2] https://dasrotewien.at/seite/simmering-graz-pauker-werk, https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Simmering-Graz-Pauker.
[3] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Johann_Hatzl, https://www.parlament.gv.at/person/528.
[4] https://dasrotewien.at/seite/hatzl-johann.
[5] Diese sind: Emma Berg, Peter Gebhart, Ernst Ströher, Josef Kohlseisen, Norbert Kotz, Gerd Neversal.
[6] https://www.wienerwohnen.at/hof/855/Johann-Hatzl-Hof.html.
[7] https://www.wienerwohnen.at/hof/855/Johann-Hatzl-Hof.html, https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Johann-Hatzl-Hof.
[8] https://www.wienerwohnen.at/hof/855/Johann-Hatzl-Hof.html.
[9] https://www.wienerwohnen.at/hof/855/Johann-Hatzl-Hof.html.
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