Wie im vorigen Beitrag angekündigt, möchte ich das heurige Jahr mit den bislang letzten Entwicklungen im Simmeringer Wohnbau beschließen. Um diesen Trend, von Großaufträgen mehrerer Architekt*innen hin zu kleineren Projekten einzelner Architekturbüros, nachzuzeichnen, stelle ich nun die Arbeiten zweier durchaus bekannter Architekten gegenüber, die sich nicht zuletzt in der Art und Weise bezüglich der Nutzung der Wohnungen grundlegend unterscheiden.
Abseits der großflächigen Verbauungen, wie wir sie etwa im Bereich des Leberbergs finden, kommt es ab den 1990er- Jahren zu einer immer stärker adaptierbaren und flexibleren Wohnraumgestaltung, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohner*innen entsprechend. [1] Familien, ältere Mitmenschen und Alleinstehende rücken nun näher zusammen, dazu werden auch Überlegungen zu Energiekostensenkung und Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt.
Anton Schweighofer, Kaiserebersdorfer Straße 15, 1997.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Den Beginn macht Anton Schweighofer (1930-2019) [2], ein Schüler des bekannten Architekten Clemens Holzmeister, der in unserem Bezirk durch den Bau des Krematoriums [3] gegenüber dem Zentralfriedhof, im ehemaligen Obst- und Fasangarten des Schlosses Neugebäude, bekannt wurde. Charakteristisch für Schweighofers international bedeutsame Architektur sind neben der sozialen Komponente [4] vor allem auch dessen orientalisch geprägte Erfahrungen durch seine Aufenthalte in der Türkei. Hier entwickelte er seine experimentellen, zum Teil auch ‚gewöhnungsbedürftigen‘ Grundrisslösungen, in denen er Tradition mit Moderne verbinden wollte. Dabei knüpft er auch an bekannte Entwürfe wie die Kreuzgrundrisse von Andrea Palladios Villenarchitektur an, die hier jedoch für eine ganze Wohnhausanlage adaptiert wurden.
In Simmering, an der Kaiserebersdorfer Straße 15, wurde von 1995 bis 1997 eine Wohnhausanlage [5] nach Schweighofers Plänen errichtet, die sich dieser gänzlich neuen Grundrisslösung bedient. Bei dieser Anlage handelt es sich tatsächlich nicht mehr um einen klassischen „Gemeindebau“, sondern um ein neues Konzept des geförderten Wohnbaus [6]. Dies fußt auf einer Initiative der Stadt Wien, die mit hohen Qualitätsstandards in der Planung und Ausführung durch namhafte Architekten sowie mit hochwertigen Materialien und dennoch leistbaren Mieten zu überzeugen versucht.
Anton Schweighofer, Grundriss einer Eckwohnung mit darüber angeordnetem Oktogon-Turm über dem Zentralraum.
Bildnachweis: Christian Kühn (Hg.), Anton Schweighofer. Der stille Radikale. Bauten – Projekte – Konzepte. Wien/New York 2003, S.197 (links, rote Einzeichnung von Pelikan); Privatarchiv Pelikan (rechts).
Im gezeigten Grundriss der Eck-Situation wird das Ineinandergreifen von öffentlichem und privatem Bereich deutlich. Ein großer, zentraler (Wohn)Raum verbindet die umliegenden Räume und löst damit die herkömmlichen Raumaufteilungen auf, wo zumeist ein Gang bzw. Vorzimmer als Verbindungselemente angeordnet sind. Darüber hinaus greift das Oktogon im Dachbereich die Grundfläche des Zentralraumes der Wohnungen auf.
Als zweites Beispiel möchte ich die Wohnanlage mit 16 Wohnungen in der Simmeringer Hauptstraße 108 vorstellen, welche 1999 bis 2000 von einem Architekturbüro entworfen wurde. Als einer von vier beteiligten Architekten [7] ist Wilhelm Holzbauer (1930-2019) zu nennen, ein weiterer Schüler Clemens Holzmeisters und ein vor allem auch in den USA tätiger Architekt. So mancher Leserin, so manchem Leser könnte Holzbauer als Mitglied der „arbeitsgruppe 4“ [8] bekannt sein. In Simmering wurde mit Holzbauer als Teil der „Architektengruppe U-Bahn“ [9], entgegen der Gründungsaufgabe U-Bahnbau, eine Wohnhausanlage der Gemeinde Wien errichtet. Ebenso um etwa 2000 entstand auch Holzbauers Entwurf zur Innenraum-Neugestaltung des Gasometers D mit dem heute dort ansässigen Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA).
Die Wohnhausanlage in der Simmeringer Hauptstraße 108 umfasst fünf Hauptgeschoße und ein hofseitig ausgebautes Dachgeschoß. [10] Auffällig an der Fassade ist die konsequente Flächigkeit, die nur im Bereich der Fenster durchbrochen wird.
Architektengruppe U-Bahn, Simmeringer Hauptstraße 108, 2025.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan
Im Erdgeschoß dominieren die großen Hauseingänge sowie die Garagenzufahrt, eine durchlaufende Schaufensterzone trennt den öffentlichen vom privaten Bereich, darüber befindet sich auch eine Bürozone im ersten und zweiten Stock.
Architektengruppe U-Bahn, Simmeringer Hauptstraße 108, 2025, Detail.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan
Besonders markant gestaltet ist das in der Mitte etwas vorspringende und fast zur Gänze verglaste Stiegenhaus mit den Regenrinnen als vertikale Trennelemente. Auffällig wirkt dabei auch das große Rundfenster als Bruch mit den ansonsten monoton rechtwinkligen Achsen, möglicherweise ein Verweis auf die Rundfenster in den frühen Gemeindebauten. Der Straße abgewandt im Innenhof finden sich großzügige Loggien und ausgebaute Dachterrassen. [11]
Ab dem Jahr 2000 finden sich kaum noch unterstützte Großprojekte in Wien, zudem wurde das Konzept des Sozialen Wohnbaus der Stadt bis 2014 ausgesetzt. Auch in Simmering wurde seither kein neuer „Gemeindebau“ errichtet, wobei sich aktuell in der Geringergasse 20 bzw. Geringergasse 27 ab 2024 ein Bauprojekt gelistet findet.
Darüber hinaus wird 2026 nach dem Konzept der Nachverdichtung in der Hoefftgasse 8 [12] ein neuer Trakt der Wohnhausanlage Muhrhoferweg mit 52 Wohnungen sowie einem Gewerbebereich im Erdgeschoß fertiggestellt, den Rohbau habe ich dieses Jahr bei der Begehung photographisch festgehalten und möchte ihn hier noch anfügen. Von den angekündigten Begrünungen und einer Photovoltaikanlage sowie einer großflächigen Fassadenbegrünung war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nichts zu sehen.
Hoefftgasse 8, Rohbau im Jahr 2025.
Bildnachweis: Privatarchiv Pelikan.
Damit endet nun der letzte Beitrag dieses Jahres, in dessen Verlauf wir die Entwicklung des (leistbaren) Wohnraums in Simmering von der ersten Großwohnanlage, den Rinnböckhäusern, über die Selbstversorgersiedlungen bis hin zu den individuell gestalteten Sozialbauten namhafter Architekten verfolgen konnten. Ich hoffe, durch die Beiträge ein wenig die Vielfältigkeit und Transformationen des Wohnbaus in unserem Bezirk abgebildet zu haben und möchte Sie abschließend einladen, mich im nächsten Jahr zu einigen, aus Film und Fernsehen bekannten Original-Drehorten in Simmering zu begleiten.
Ihnen allen eine ruhige und friedvolle Weihnachtszeit und einen guten Beginn im neuen Jahr.
Beitragersteller: Thomas Pelikan
[1] Allein der bekannte Rosa-Jochmann-Ring mit seinen drei Abschnitten von 1994-1997 umfasst zusammen 906 Wohnungen, https://www.wienerwohnen.at/hof/1701/Rosa-Jochmann-Ring-1.html.
[2] https://oegfa.at/institution/ehrenmitglieder-1/anton-schweighofer#wer, sowie https://www.nextroom.at/actor.php?id=4303&inc=datenblatt.
[3] Blogbeitrag November 2023 – Das Krematorium.
[4] Im Frühjahr 2026 im AzW zu sehen: Schweighofers Stadt des Kindes, https://www.azw.at/de/artikel/sammlung/die-soziale-dimension-der-architektur-anton-schweighofer-zum-95-geburtstag/.
[5] https://www.nextroom.at/building.php?id=2539.
[6] https://wohnberatung-wien.at/wohnbau/gefoerderter-wohnbau.
[7] Die anderen drei Mitglieder sind Heinz Marschalek, Georg Ladstätter und Bert Gantar.
[8] Diese Bürogemeinschaft bestand ursprünglich neben Wilhelm Holzbauer aus Friedrich Kurrent, Johannes Spalt und Otto Leitner. Letzterer schied jedoch relativ früh aus, weswegen die Gruppe vor allem als „die ¾ler “ bekannt ist.
[9] http://www.agu.at/de/profil/, für die weiteren Architekten siehe Fußnote 7.
[10] https://www.wienerwohnen.at/hof/1715/Simmeringer-Hauptstrasse-108-A.html.
[11] https://www.wienerwohnen.at/hof/1715/Simmeringer-Hauptstrasse-108-A.html.
[12] https://wse.at/projekte/gemeindebau-hoefftgasse, bzw. https://www.wienerwohnen.at/gemeindewohnungenneu/hoefftgasse.html.
Kommentar hinzufügen
Kommentare
Lieber Herr Pelikan, vielen Dank für diese hervorragend recherchierte Serie zur Entwicklung des Wohnbaus in Simmering. Bieten Sie auch Führungen dazu an?