April 2024 - Der Schneider an der Fassad' ...

In diesem Monat möchte ich im Rahmen der Reihe ‚Fassaden mit Geschichte(n)‘ gerne ein Wandmosaik am Alfred-Wunsch-Hof in der Gottschalkgasse 17-19 vorstellen.

 

Dieses 1954 von Franz Zülow gefertigte Kunstwerk verweist auf ein Spottlied aus den 1850er Jahren, das anlässlich eines missglückten Attentatsversuchs auf Kaiser Franz Joseph I. durch den ungarischen Schneidergesellen Janos Libényi [1]  vor allem in Wien gesungen wurde und mit den Zeilen beginnt:

 

„Auf der Simmeringer Had‘

hat’s an Schneider verwaht …“

 

Alfred Wunsch-Hof, Keramikwandbild 'Szenen aus der Simmeringer Haide' von Franz Zülow 1954, mit den ersten Zeilen des Spottlieds.

Bildnachweis: Ewald Judt, https://austria-forum.org/af/Bilder_und_Videos/Bilder_Wien/1110/1252.

 

Die Entwicklung der durch den Jugendstil geprägten Kunstform im Dunstkreis der Wiener Secession unter Otto Wagner sowie der Wiener Werkstätte unter Josef Hoffmann und Koloman Moser findet hier, am Alfred-Wunsch-Hof, eine scheinbar späte Fortsetzung durch das von Franz (von) Zülow, [2] einem Schüler Koloman Mosers, gestaltete Wandmosaik.[3]

 

Auf bemalten Kacheln/ Fliesen sind ländliche Szenen dargestellt, die offensichtlich an die historische Nutzung der Simmeringer Haide erinnern. Diese Szenen sind in vier Zonen unterteilt. Im Vordergrund (von unten nach oben betrachtet) sehen wir eine Gewächshausanlage mit Wachhund, stellvertretend für die vielen Gewächshäuser und Kleingartensiedlungen, die auch heute noch existieren [4]. Darüber sehen wir zwei Pferde, die auf einer Wiese zwischen zwei Bäumen grasen, diese können möglicherweise auf die Haide als Weideland oder aber auch als Hinweis auf die ortsansässigen Fiaker-Betriebe mit ihren Stallungen interpretiert werden. In der dritten Zone finden sich Kühe, Ziegen und Hasen in einer grünen Wiesenlandschaft, auch hier ein Hinweis auf die Klein- und Haustierhaltung in Simmering. In der letzten Zone, also im oberen Drittel des Mosaiks, sehen wir nun die titelgebende Szene „Auf der Simmeringer Had‘ hat’s an Scheider verwaht“. Ein personifizierter Wind bläst von rechts oben zwischen den Wolken einen Mann von einem unbestellten Acker, während im Hintergrund ein Dorf zwischen Hügeln eingebettet zu sehen ist, vermutlich eine Referenz auf den früheren dörflichen Charakter des Gebiets.

 

Hintergrund des abgebildeten und durch den Schriftzug am Fußende des Wandbildes ausgeschilderten Ereignisses ist ein Spottlied, das im Jahr der Hinrichtung (besagte „Verwehung“ = Hängung) des Attentäters Janos Libényi 1853 aufkam. Ursprung des Schmähgedichts war eine politisch motivierte Auseinandersetzung zwischen Kaiser Franz Joseph I. und Ungarn, in dessen Folge der spätere Attentäter Janos Libényi nach Wien zog, um bei einer günstigen Gelegenheit den Kaiser zu ermorden. [5]

 

Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht ergeben sich jedoch einige Ungereimtheiten in Bezug auf die Ortsangabe, wird für den 26. Februar 1853 in einigen Quellen doch die Spinnerin am Kreuz in Wien-Favoriten als Hinrichtungsstätte Libényis angegeben. [6] Der Bezug des Attentäters zu Simmering ist also einigermaßen unklar, einzig die Darstellung der „stürmischen“ Situation auf der Simmeringer Haide scheint hier stimmig.

 

Das Gebiet der Haide (Heide) ist heute als eine zum Teil noch landwirtschaftlich genutzte Fläche auf der Praterterrasse zu finden, somit also wesentlich tiefer gelegen als die Stadtterrasse, das Siedlungsgebiet im Bereich Dorfgasse/ Simmeringer Hauptstraße. Aber auch die Zonenbezeichnung „rezente Mäander“ [7] im Südosten dieses Geländeabfalls zum Donaukanal hin verweist auf die Zeit vor der Donauregulierung, wo es in diesem Gebiet Schwemmland gab. Der heute noch so bezeichnete „Seeschlachtweg“ verweist auf einen ehemaligen, in die Schwechat mündenden Bach, welcher Teile der Simmeringer Haide vom Erdberger Mais bis Kaiserebersdorf entwässert hat[9]

 

Luftaufnahme der Simmeringer Haide mit Anbauflächen und Glashäusern.

Bildnachweis: Alfred Havlicek, https://austria-forum.org/af/Bilder_und_Videos/Luftaufnahmen/Wien_Augen_des_Adlers/Stadtansichten/Simmeringer_Heide.

 

Heute dominieren neben den Gärtnereibetrieben vor allem Industriezonen entlang des Donaukanals im Nordosten, die Entsorgungsbetriebe im Osten sowie die Besiedelung am Leberberg im Südosten diesen Bezirksteil.

 

Beitragersteller: Thomas Pelikan


[1] https://bmi.gv.at/magazinfiles/2016/11_12/files/kriminalgeschichte.pdf.

[2] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Franz_von_Z%C3%BClow.    

[3] https://www.xn--franzvonzlow-llb.at/de/biografie.

[4] Petra Leban, Johannes Hradecky, Lebensbezirk Simmering, Wien 2012, S. 123.

[5] Im Einführungspodcast wird ausführlich auf die historischen Umstände und deren Nachwirkungen sowie auf die Retter des Kaisers eingegangen. Nachzuhören bei:

[6] https://bmi.gv.at/magazinfiles/2016/11_12/files/kriminalgeschichte.pdf.

[7] Friedrich Brix, kurze geographische und geologische Betrachtungen über den 11. Wiener Gemeindebezirk, Simmering, in: Wiener Heimatkunde. Simmering, hg. von Hans Hawelka, Wien 1991, S. 226, 229-230.

[8] https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Seeschlachtweg.

[9] Friedrich Brix, kurze geographische und geologische Betrachtungen über den 11. Wiener Gemeindebezirk, Simmering, in: Wiener Heimatkunde. Simmering, hg. von Hans Hawelka, Wien 1991, S. 236-237.

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